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Gesunde Liebe? – Salutogenese für Paare

von Dorle Weyers

Ist Ihre Partnerschaft eigentlich gesund für Sie? Woran soll man das überhaupt messen? Wie kann der Partner bzw. die Partnerin dazu beitragen, dass ein Mensch seelisch stabil bleibt? Ist nicht jeder seines eigenen Glückes Schmied?

Auch hier bietet uns die sogenannte Salutogenese eine gute Struktur, um zu klären, ob wir eine gesunde Beziehung führen. Denn psychisch gesund ist ihr zufolge, wenn wir unser Leben und seine Herausforderungen 1. als verstehbar, 2. als handhabbar und 3. als sinnvoll erleben. Das gilt auch in der Liebe. Die Basis hierfür bildet das individuelle Kohärenzgefühl, das beide Partner mit in die Beziehung einbringen.

Doch kann eine Liebesbeziehung im Laufe der Zeit das Kohärenzgefühl der Partner:innen deutlich schwächen oder stärken. Woran Sie erkennen können, ob Sie eine gesunde Beziehung führen, zeigen beispielhaft die folgenden Fragen.

Vielleicht möchten Sie anhand dieser Punkte allein oder gemeinsam reflektieren, wie gesund Ihre Partnerschaft gegenwärtig ist? Je nachdem, was Ihnen lieber ist, können Sie die Fragen qualitativ beantworten (mit Beispielen, Erinnerungen, Gedanken, Gefühlen) und/oder quantitativ (z. B. jeweils auf einer Skala von 0 bis 7, also von '0 = sehr schwer/stark/oft/...' bis '7 = sehr gut/leicht/selten/...'):

Wie schätzen Sie Ihre Beziehung ein?

Das 1. Kriterium für gesunde Beziehungen: Verstehbarkeit

Verstehen Sie, was in Ihrer Beziehung läuft? … wie Sie miteinander umgehen? … welche Muster sich immer wieder durchsetzen? … was passiert, wenn Sie und/oder die Partnerin in Stress geraten? … was Ihre Paardynamik 'in guten wie in schweren Zeiten' bestimmt?

  • Wie sehr und wie häufig erleben Sie sich selbst in der Beziehung als 'nicht mehr ich selbst' und verstehen nicht wieso?
  • Wie oft fragen Sie sich, was im Laufe der Partnerschaft aus Ihnen beiden geworden ist?
  • Wie oft verstehen Sie selbst nicht mehr, warum Sie sich in der Beziehung so verhalten, wie Sie es tun?
  • Wie oft erleben Sie das Verhalten Ihrer Partnerin bzw. Ihres Partners als unerklärlich, chaotisch oder willkürlich?
  • Haben Sie das Gefühl, sich bzgl. Ihrer Zukunft auf den Anderen verlassen zu können und zu wissen, wo es für Sie als Paar hingeht?
  • Fördert oder schwächt Ihre Partnerschaft eher Ihre Überzeugung, dass das Leben im Allgemeinen geordnet, verstehbar und erklärbar ist? Wie passiert das?

Das 2. Kriterium für gesunde Beziehungen: Handhabbarkeit

Fühlen Sie sich öfter ohnmächtig in der Beziehung? Haben Sie das Gefühl, sowieso nichts machen zu können? Oder wissen Sie meistens, was Sie tun können, auch wenn es gerade miteinander schwierig ist? Wie sehr glauben Sie daran, dass Ihre gemeinsamen Probleme lösbar sind?

  • Wie oft erleben Sie sich selbst oder den Partner in der Beziehung als ohnmächtig?
  • Wie oft erleben Sie sich selbst oder den Partner bzgl. der Beziehung ratlos oder gar resigniert?
  • Wissen Sie beide, wie Sie den Anderen 'nehmen' können? Wie Sie am besten mit seinen oder ihren Macken und Eigenarten umgehen?
  • Können Sie beide konstruktiv streiten und sich versöhnen?
  • Merken Sie, wenn eine Situation zwischen Ihnen destruktiv wird, und können Sie dann deeskalieren?
  • Haben Sie das Gefühl, sich im Alltag auf den anderen verlassen zu können?
  • Sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie Sie Ihre Partnerschaft leben?

Das 2. Kriterium für gesunde Beziehungen: Sinnhaftigkeit

Wie sehr erleben Sie Ihre Beziehung als emotional, spirituell, intellektuell oder anderweitig für Sie 'sinnvoll'? Wissen Sie (noch), warum Sie gerade mit diesem Mann bzw. mit dieser Frau zusammen leben wollen – auch wenn es gerade schwierig ist? Oder haben Sie öfter das Gefühl, Ihr Leben mit dem oder der Falschen zu verbringen?

  • Erleben Sie Ihr Leben mit diesem Partner/dieser Partnerin als sinnvoll?
  • Was ist für Sie der Sinn gerade dieser Beziehung? Wozu sind Sie zusammen? Was macht diese Verbindung für Sie beide lebenswert?
  • Welche der Anforderungen, vor die Ihre Liebe Sie stellt, sind es wert, dass Sie Ihre Kraft gerade hier investieren?
  • Erleben Sie diese Anforderungen eher als 'willkommene Herausforderung' oder als 'Last, die Sie gerne los wären'?
  • Sind Sie und zufrieden, mit dem Maß an und den Formen von Nähe, die Sie miteinander teilen?
  • Sind Sie zufrieden damit, wie Sie als Paar mit anderen Menschen verbunden sind?
  • Fühlt sich das Leben, das Sie als Paar führen, für Sie gut und richtig an?

Wie schätzen Sie Ihrer beider Kohärenzgefühl ein?

Können Sie beide (!) viele der Fragen positiv beantworten? Dann leben Sie wahrscheinlich in einer gesunden Beziehung. Vermutlich haben Sie beide oder zumindest einer von Ihnen ein hohes Kohärenzgefühl. Paare mit starkem Kohärenzsinn können Krisen besser überstehen. Dazu genügt in der Regel sogar, wenn nur einer von beiden Partnern ein hohes Kohärenzgefühl hat (Antonovsky/Sourani 1988).

Wege zu gesunder Liebe

Stimmen diese Fragen Sie eher traurig oder ärgerlich, oder beantworten Sie viele Fragen eher negativ? Dann wird es Zeit etwas zu unternehmen. In jedem Fall sollten Sie nach Wegen suchen, um den eigenen Kohärenzsinn in der Beziehung zu stärken. Ebenso wichtig ist die Frage, wie Sie aktiv das Kohärenzgefühl Ihres Partners bzw. Ihrer Partnerin fördern können. (Weitere Anregungen dazu finden Sie in diesem Blog und im Bereich 'Paartherapie' unter dem Suchwort TreueLust.) Wenn Ihre individuelle Situation schwerer ist, kann eine Psychotherapie Ihr Kohärenzgefühl deutlich stärken, da Sie dort klären können, wie Ihr persönliches Leben 'funktioniert', wie Sie Schwieriges besser handhaben können und was für Sinn ergibt, und was nicht. Mehr Kohärenzsinn in Beziehungen zu schaffen, ist ein wichtiges Anliegen in guten Paartherapien. Hier finden Sie professionelle Unterstützung, um:

  • erstens sich selbst, zweitens den Anderen bzw. die Andere und drittens die Paardynamik besser zu verstehen,
  • die besonderen Herausforderungen gerade dieser Beziehung zu bewältigen und an ihnen zu wachsen,
  • zu klären, ob das, was es in die Beziehung zu investieren gilt, für beide individuell Sinn macht; bzw. was beide benötigen, damit dies Ihnen wieder sinn erscheint.

Warum eine gesunde Beziehung so wichtig ist

Wissenschaftliche Untersuchungen ergeben immer wieder, dass das Leben in einer Beziehung gesünder sei denn als Single. Dies soll übrigens mehr noch für Männer gelten als für Frauen. Aber bedeutet das, dasss eine ungesunde Beziehung besser ist als gar keine Beziehung? Oder ist jede ungesunde Beziehung 'toxisch'?

Toxische oder ungesunde Liebe?

Am negativen Ende der Skala stehen die sogenannten 'toxischen' Beziehungen, von denen seit einigen Jahren stets häufiger zu hören ist. Eine toxische, also giftige Beziehung wird meist als hoffnungslose Liebe beschrieben. Oft ist in diesem Zusammenhang von 'toxischen Partner:innen' die Rede, gerne verbunden mit einer vermeintlichen oder tatsächlichen Narzissmus-Diagnose. Gemeint ist damit in der Regel, dass eine:r der Partner:innen dem anderen einseitig sehr stark schade. Als Ursache wird dann die (gestörte) Persönlichkeit des bzw. er Anderen gesehen. Wie eine tägliche Dosis Gift mache die toxische Beziehung krank und kränker. Rettung scheint nicht in Sicht.

Ja, sicherlich gibt es Menschen, mit denen eine gesunde Beziehung nicht möglich ist. Aber es ist auch genauso einfach wie verführerisch, die Probleme ausschließlich bei dem Partner bzw. der Partnerin zu sehen: 'Die Hölle, dass sind eben die Anderen.'

"Hurt people hurt people"

"Hurt people hurt people" (Verletzte Menschen verletzen Menschen) lautete 1993 der kluge Titel eines Buchs der Familientherapeutin Sandra D. Wilson. Die meisten Menschen haben im Laufe des Lebens emotionale Verletzungen erlitten. Oft sind diese noch nicht verheilt, wenn wir eine neue Beziehung beginnen. Die Chancen stehen dann gut, die eigene Verletzlichkeit auch in der neuen Beziehung zu spüren zu bekommen. Dann kann es meist sehr schwer sein, das Alte vom Neuen zu trennen. Hinter aggressiven Auseinandersetzungen verbirgt sich daher viel öfter individuelle Not und Hilflosigkeit als toxische Partner mit niederträchtigen Charakterzügen.

Ungesundes Zusammenspiel

Vermutlich gibt es jedoch sehr viel mehr ungesunde Beziehungen als 'toxische Partner:innen'. Denn Liebe wird auch dann ungesund, wenn wir gemeinsam ungesunde Beziehungsmuster und Wechselwirkungen entwickeln. – Weil wir uns unbewusst schon jemanden gesucht haben, an dem wir unsere Lebensthemen bearbeiten können. Weil wir immer noch nicht kapiert haben, welche alten Wunden wir beim Anderen immer wieder aufreißen. Weil wirklich vieles gut zusammenpassen muss, damit wir als Paar gesund zusammenleben können. Weil das, was anfangs so reizvoll anders war, uns auf Dauer bis zur Weißglut reizt. Weil Beziehungen umso komplizierter sein können, je näher sie werden. Weil unsere unbewussten Abwehrmechanismen so perfekt ineinandergreifen wie ein Zahnrad ins andere. ...

Ungesunde Liebe bedeutet chronischen Stress

Unglückliche Beziehungen sind auf Dauer ungesund. Sie machen uns krank, weil sie chronischen Stress bedeuten. Chronischer Stress, das heißt für unsere Körper: z. B. ständige Ausschüttungen von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Auch hier macht die Dosis das Gift. Zu viele dieser Stress-Hormone und Neurotransmitter schaden effektiv unseren Körperzellen, manchen Gehirnarealen, unserem Immunsystem, Herz und Kreislauf. Dauerhaft unglückliche Beziehungen sind also immer gewissermaßen 'toxisch'.

Fühlen wir uns in unserer Liebesbeziehung nicht sicher und geborgen, so gerät auch unser Autonomes Nervensystem aus dem Gleichgewicht: Sein aktivierender Zweig, der Sympathikus wird dominant: Wir sind ständig auf der Hut, bereit zu kämpfen, zu fliehen, oder unsere Gefühle abzuspalten (mit Hilfe von Dissoziation, 'Ablenkungen', Alkohol oder anderen Drogen). All dies lässt uns noch mehr streiten, vermeiden, Sorgen und Stress erleben. Der für Ruhe und Entspannung maßgebliche Parasympathikus hat dann irgendwann kaum noch eine Chance. – Es sei denn, wir tun aktiv etwas für ihn. Kurzfristig können hier Sport und andere Hobbies helfen. Langfristig hilfreich ist für unser Nervensystem und unsere Gesundheit vor allem, wenn wir den Ursachen an die Wurzeln gehen – z. B. mit Hilfe einer Paartherapie.

 

Eine kurze Einführung zu Salutogenese und Kohärenzgefühl finden Sie hier.

Weitere Impulse für Ihre Partnerschaft finden Sie z. B. bei den 50 Beziehungsfragen, im Artikel 'Eltern sein, Paar bleiben'  ... oder direkt in meiner Praxis für Paartherapie in Münster oder in der Paarberatung online.

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