Konfliktlösung, Klärung & Kommunikation im Blog

Sind Sie ein 'Gewinnertyp'? – Oder möchten Sie sich fair verhalten und verständigen?

von Dorle Weyers

Wann haben Sie sich zuletzt mächtig gestritten?

Wer einen Streit gewinnen will, erlebt ihn oft als Machtfrage. Ziel der Auseinandersetzung ist dann nicht mehr, sich zu verständigen und Lösungen zu finden, sondern: Siegen und Recht-Haben! Oder zumindest: Bloß nicht verlieren! Denn so lassen sich in privaten Beziehungen und am Arbeitsplatz viele unangenehme Gefühle vermeiden: von Ohnmacht, über ‚Falsch-Sein‘ bis zu Scham und Schuldgefühlen.

Unfaires Verhalten & Gesprächstaktik in Beziehungen und am Arbeitsplatz

Sowohl ausdauernde Selbstverteidiger*innen als auch echte Gewinnertypen nutzen hierzu – oft unbewusst – ein ganzes Arsenal bewährter, aber unfairer Verhaltensweisen bzw. Gesprächstaktiken, die eine Verständigung verhindern und Konflikte am Arbeitsplatz und in nahen Beziehungen letztlich eskalieren lassen, z. B.:

  • Das Navi-Prinzip: Einfach immer wieder die eigene Meinung wiederholen, egal, was der bzw. die Andere sagt; weder zuhören noch auf den Anderen eingehen. Mechanisch, simpel, stur!

  • Projektion: Wenn Sie der anderen Person genau das vorwerfen, was sie an Ihnen kritisieren will oder würde, überholen Sie sie zwar … aber manchmal so weit, dass Sie schließlich allein zurück bleiben. Passiert dies oft und unbewusst, verbirgt sich dahinter (tiefenpsychologisch betrachtet) meist ein klassischer Abwehrmechanismus. Ihr Gegenüber können Sie damit leicht zur Weißglut bringen  – egal ob unbewusst oder bewusst gewählt.

  • Themenwechsel: Gehen Ihnen die Argumente aus, können Sie schnell zu etwas anderem springen. Im Prinzip eignet sich für diese unfaire Taktik jedes andere Thema. Profis bevorzugen allerdings alte Kamellen, die der oder die Andere irgendwann ‚verbrochen‘ hat, oder folgende Techniken, die den Ball sicher zurück spielen:

  • Retourkutschen: 'Das musst du gerade sagen', 'Dafür hast du aber letzte Woche ...', ... Sätze wie diese funktionieren erstaunlich gut, um von sich selbst abzulenken: Weg von dem, was Ihr Gegenüber gerade besprechen wollte, hin zu dem was er oder sie nicht so toll gemacht hat.
    Retourkutschen lassen sich auch problemlos als (vermeintliche) 'Ich-Botschaft' verpacken: Ein ordentlich dahin geschmettertes „Mir geht es genauso!“ deutet zwar auf eine wichtige Gemeinsamkeit hin, hat aber selten verbindende Wirkung. Mag sein, dass beide Streitpartner ärgerlich oder verletzt sind. Und in freundlichem Ton wäre der Hinweis vielleicht sogar hilfreich. Im klassischen 'Du mich auch!“-Ton wird er jedoch eher zur Abwehr.
    Wem diese Formen der Retourkutsche zu plump sind, der nutzt vielleicht lieber ihre 'geschicktere' Fassung:

  • Formfehler rügen: Nicht nur Jurist:innen wissen um die zentrale Bedeutung von Formfehlern fürs Gewinnen. Auch bei Alltagskonflikten werden sie sehr gern genutzt, um die Beschwerden oder Wünsche anderer abblitzen zu lassen. Formfehler-Hinweise sind die bei Bürokrat:innen und Pädagog:innen gleichermaßen beliebte Sonderfom der Retourkutsche: 'Dich hat etwas verletzt oder geärgert? – Ach! Und wie unmöglich ist es von dir, mir das erst 3 Tage später zu sagen?!' Oder es mir SO zu sagen. Versucht jemand es humorvoll oder nebensächlich? So ein böser Seitenhieb bzw. unsachliche Stichelei! Wird der Hinweis klar und direkt formuliert? Wie kann man nur so übertreiben, dominant oder anmaßend sein, oder ...! – Niederträchtig ist es allemal; ja, es muss es sein! Je mehr Sie den 'Formfehler' skandalisieren, desto besser für Sie. Schließlich ist der Vorteil vermeintlicher Formfehler im Alltag eben derselbe wie vor Gericht: Über den Inhalt der 'Beschwerde' müssen Sie nicht eine Sekunde nachdenken, geschweige denn über sich selbst.

  • Unwichtige Details in Frage stellen, um vom Wesentlichen abzulenken, nach dem Motto: "Wenn ich dir jedes Wort im Mund 'rumdrehe, erspare ich mir jede ehrliche Antwort". In der noch perfideren Variante wird dabei zugleich das Handeln, Fühlen oder Denken des Anderen subtil kritisiert oder gleich lächerlich gemacht; wobei diese Absicht natürlich geleugnet wird.

    Diese durchaus gemein gemeinte Themenwechsel-Taktik ist nicht nur geeignet, um von eigenen Problemen und Macken abzulenken. Sie ist zudem sehr beliebt, um die Anderen zu verunsichern oder 'verrückt' – und letztlich jede konstruktive Kommunikation unmöglich – zu machen. Vor allem stark narzisstische Menschen sind meist Meister dieses Faches.
  • Zur Ausnahme erklären, was der eigenen Makellosigkeit widerspricht, z. B. „Ich habe zwar letzte Woche tatsächlich nicht getan, was ich versprochen habe, aber das war ja nur ausnahmsweise so, weil …' – und schon ist die Kritik der Anderen vom Tisch – und damit zumeist auch ihr Bedürfnis oder Wunsch.

  • Lächerlich machen: z. B. indem Sie die Meinung der Anderen maßlos übertreiben, sie karikieren, mit absurder Mimik untermalen etc., setzen Sie sie scheinbar humorvoll ins Unrecht. Auch sarkastische oder anderweitig polemische Verpackungen, werden von manchen Menschen gern genutzt, wenn ihnen die Argumente ausgehen. Unter den unfairen Gesprächstaktiken kann diese besonders verletzen.

  • Besserwissen: Das können manche Menschen unglaublich gut – selbst dann, wenn es um unterschiedliche Meinungen, Perspektiven oder Deutungen geht. Auch dieses Verhalten ist letztlich unfair. Zeugt es doch nicht gerade von Respekt vor den Anderen.

  • Subjektivieren: Quasi das Gegenstück zum Besserwissen; den 'alternativen Fakten' ähnlich. Tatsachen werden entweder mit einem klaren 'Ich empfinde das aber anders' vom Tisch gewischt oder (mit konstruktivistischem Überbau) als individuelle Sichtweise ins Reich der subjektiven Realitätskonstruktionen verwiesen.

  • Hellsehen á la „Ich weiß genau, was du beabsichtigst, fühlst oder denkst.“ ist eine besonders interessante Variante des Besserwissens und vor allem in Liebesbeziehungen beliebt. Aber manche Menschen kennen auch Ihre Kolleg:innen weit besser als die sich selbst.

  • Pathologisieren: Ob "Warum sind Sie nur so misstrauisch?", "Wie kann man so pedantisch sein!"‚ "Deine Eifersucht verletzt mich.", "Du bist immer so überempfindlich.", ein pseudo-therapeutisches "Du reagierst ja richtig borderlinig." Oder ein simples "Du spinnst doch." – Jeder dieser Sätze legt letztlich nahe, der Betreffende habe eine mehr oder weniger leichte psychische Störung, ... und gehört damit zu den aggressivsten unfairen Gesprächstaktiken.

  • Entwertungen können auch ganz schlicht daherkommen. „Wie? Das kannst du nicht?“, "So ein Unsinn!" oder „Sie sind ja inkompetent.“ etc. sind unfaires Verhalten und keine konstruktive Kritik.

  • Das beweisführende Plädoyer ist etwas komplizierter und vor allem bei Juristen beliebt: 1. angenommen du hättest Recht, dann würde ich mich unter bestimmten Voraussetzungen bei dir entschuldigen, 2. bist du aber im Unrecht, weil du alles falsch gemacht hast, also trage ich 3. überhaupt keine Verantwortung für das, was war. Auch im Alltag dient diese Geprächstaktik eher der Schuldabwehr als der Gerechtigkeit.

  • Gefühlte moralische Überlegenheit lässt sich sprachlich und nonverbal vermitteln. Sätze wie „Der Klügere gibt nach“ oder die entsprechende Mimik heißen: Ich halte mich für etwas Besseres und du bist ein armes Würstchen und/oder mir die Mühe nicht wert.

  • Mauern: Mit Rückzug, Schweigen und Kontaktabbrüchen beenden Sie einseitig den Dialog. Vielleicht haben Sie jetzt erst einmal Ruhe und atmen durch. Für den Anderen fühlt sich das meist eiskalt an. So kann vermeintlich vernünftiges Schweigen nicht nur extrem aggressiv wirken. Den Anderen als Gegenüber zu ignorieren, indem wir ihm das Gespräch verweigern, ist eine massive Aggression.

  • Hartnäckiges, selektives Nicht-Verstehen: Mauern können übrigens auch aus Glas sein. Sie bleiben dann unsichtbar und garantieren zugleich, dass die Anderen nicht zu Ihnen durchdringen. Je selektiver dies geschieht, desto unsichtbarer die Mauer. Dann können Sie sich z. B. wunderbar darüber austauschen, was in der gemeinsam erlebten Situation X geschehen ist. Nur wenn es dann exakt um den Teil geht, den Ihr Gegenüber verletzend fand, geht plötzlich jeder Kontakt und damit jede Verständigung verloren. Sofern Sie diese Taktik nicht absichtlich wählen, können Sie fast sicher sein, dass hier ein ziemlich dicker Hund begraben liegt, an den Ihr Bewusstsein nicht erinnert werden will.

Mit den genannten Strategien lassen sich einzelne Streits meist wunderbar gewinnen … und Freunde verlieren. Denn ihre Botschaft ist: „1. Mit dem, was du sagst oder willst, setze ich mich erst gar nicht auseinander. Es interessiert mich nicht wirklich. 2. Du hast Unrecht, bist falsch.“ Kurzfristig machen diese - oft aus der Not geborenen - Strategien das Gegenüber ohnmächtig, hilf- und sprachlos, langfristig können sie die Beziehung früher oder später (zer-)stören.

Möchten Sie sich unfaire Gesprächstaktiken abgewöhnen? Dann bieten folgende Fragen einen guten Einstieg in den Ausstieg: Dürfen andere Menschen Ihnen sagen, dass es ihnen mit Ihrem Verhalten in einer Situation nicht gut ging? Erlauben Sie sich selbst, nicht makellos zu sein? Dürfen Sie situativ von Ihrem Ich-Ideal und Ihren Werten abweichen? Gestatten Sie sich Fehler? Können Sie dann ggf. auftauchende Schuldgefühle aushalten, so dass Sie diese nicht mittels der oben beschriebenen Techniken abwehren müssen?

 

Wenn Sie sich lieber fair streiten und verständigen möchten, unterstütze ich Sie gern mit einer Paartherapie oder mit einer beruflichen Konfliktberatung in Münster.

 

Weiterlesen?

Möchten Sie sich in Beziehungen und am Arbeitsplatz lieber fair verhalten und verständigen? Dann lesen Sie hier:

 

PS: Als ich diesen Artikel im Jahr 2019 erstmals veröffentlicht habe, war mir Schopenhauers Text über 'Die Kunst, Recht zu behalten' noch ebenso unbekannt wie die 'Chinesischen Strategeme'. Schopenhauer beschrieb vermutlich bereits 1830 in seiner 'eristischen Dialektik' die aus seiner Sicht wesentlichen 38 "Kunstgriffe" schwarzer Rhetorik. Die 36 'Chinesischen Strategeme' sollen sogar aus dem 5. Jahrhundert stammen.
Ähnlichkeiten dieses Blog-Beitrags mit Konzept oder Elementen der beiden historischen Beschreibungen sind also keine Kopien, sondern zeigen m. E. eindrücklich, wie zeitlos und kulturübergreifend das Thema ist.

Zurück zur Übersicht