Klärendes, Krasses & Kommunikatives im Blog

Wer zahlt was ins Solidarsystem ‚gesetzliche Krankenversicherung‘?

von Dorle Weyers

Sicher & solidarisch älter werden in der GKV?

2023 zahlten ca. 1,5 Mio Selbständige freiwillig GKV-Beiträge. Sie ‚verbeitragten‘ ein mittleres monatliches Einkomen von rund 3.540 €. (Privat krankenversichert sollen hingegen nur 0,5 Mio Selbstständige sein.)* Diese 3.540 € entsprechen natürlich nicht dem mittleren Brutto-Einkommen, das sie als Selbstständige verdienen. Das muss deutlich geringer sein. Denn ‚verbeitragt‘ werden ja zusätzlich sämtliche Einnahmen: vom Nebenjob über Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen bis zu Kontowechselprämien über 260 € etc. Das gilt für alle, die freiwillig gesetzlich krankenversichert sind, neben Selbstständigen also vor allem Rentner:innen und Studierende bis zu einem Jahresverdienst von (2024) 62.100 €. Danach werden auch Zinsen etc. nicht mehr von der GKV angerührt.

Was denken Politiker:innen?

Sicher, die gesetzlichen Kassen brauchen Geld. – Aber warum werden ausgerechnet die Menschen überdurchschnittlich zur Kasse gebeten (und so bei der Alterssicherung behindert), a) deren Verdienst sich in Grenzen hält und b) die freiwillig das Solidarsystem ‚gesetzliche Krankenversicherung‘ unterstützen? Was mögen sich die für das Gesetz verantwortlichen Politker:innen dabei nur gedacht haben? –– Okay, „Wer hat, dem werde gegeben.“ wird ja auch andernorts gern genommen. Aber ich wundere mich dennoch, wie ein so extrem ungerechtes System z. B. auch von grünen Politiker:innen hartnäckig verteidigt werden kann (siehe hier ab ca Min. 7:45).

Immer auf die Kleinen?

In vielen Branchen verdienen z. B. Solo-Selbstständige lange nicht so viel, wie manch schwarz-grün-rot-gelb-blaue Fantasie suggerieren mag. Honorare, wie sie an OGS, VHS und anderen öffentlichen Einrichtungen gezahlt werden, lassen erst recht niemanden reich werden, egal ob mit oder ohne Uni-Abschluss. Auch von solch bescheidenen Salären dürfen alle, die nicht der privaten Krankenversicherung anheim gefallen sind, zzt. also bis zu 20 % für Kranken- und Pflegeversicherung zahlen. Von dem mittleren 3.540-€-Monatseinkommen also ca. 700 €. Und falls Sie es trotzdem geschafft haben, bereits mehr für ihre Alterssicherung zu sparen, werden deren Erträge dann ebenfalls um 20% gemindert.

Risiko: Selbstständig älter werden in der GKV?

Ein anderes Beispiel: Gerda ist 65 Jahre und schon ewig selbstständig. Seit ein paar Jahren werden die ernsten ‚Wehwehchen‘ mehr, die Arbeitsenergie weniger. Vielleicht haben auch Corona oder Kriege zu viel Kraft geraubt. Oder der Klimawandel schlaucht ihren nicht mehr ganz jungen Körper. Die Wechseljahre waren auch nicht ohne. Und vielleicht kümmert sie sich um ihre alten Eltern oder kranke Freund:innen. Oder von allem etwas und alles zusammen in jedem Fall zu viel. Auf alle Fälle schlägt sich all das – anders als bei Angestellten – blitzschnell im Einkommen nieder. 

Bisher hat Gerda gut verdient, aber jetzt will und muss sie weniger arbeiten. Also rutscht ihr selbstständiges Einkommen deutlich unter die Beitragsbemessungsgrenze. Gottseidank hat sie gut vorgesorgt und erntet daher schon einige Nebeneinkünfte aus dem, was sie fürs Alter anspart. Den Höchstbeitrag darf sie ggf. dank Erspartem also trotzdem an ihre Krankenkasse zahlen. Es sei denn, sie huscht mit frischen 65 Jahren noch schnell in eine Stelle, in der sie dann pflichtversichert ist. Dann wird ihr Erspartes von den Krankenkassen ‚natürlich‘ nicht mehr angerührt.
(Klar: Auch private Krankenversicherungen können im Alter ein teurer bis unbezahlbarer Spaß werden. Aber die nennen sich auch nicht 'Solidarsystem'.)

... oder: Sozialabgaben fressen Alterssicherung auf

Doch: 'Je oller, desto doller' kommt es dann im nächsten Jahr: Gerda hat einen blöden Unfall. Also fällt sie mehrere Wochen aus. Anschließend hat sie 50% ihrer Kundschaft verloren, und verdient angesichts ihrer fixen Betriebkosten fast nichts mehr. Der (teure) Streit mit der Versicherung kann sich über Jahre hinziehen. Also verkauft sie ihre vor 30 Jahren erstandene Eigentumswohnung. Und schon wieder landet sie beim Höchstbeitrag, obwohl sie gerade kaum Geld mit der Selbstständigkeit verdient: Der Gewinn aus dem Wohnungsverkauf ist nämlich ebenfalls ‚beitragspflichtig‘, ... aber natürlich nur für freiwillig GKV-Versicherte. (Und das meines Wissens NICHT einmal inflationsbereinigt, oder?) Hätte Gerda also wie früher mit 65 in Rente gehen oder mit dem Verkauf warten können, bis sie als Rentnerin ganzjährig pflichtversichert ist, hätte sie den (vermeintlichen?) Gewinn komplett behalten dürfen. Wieder Pech gehabt. Ach, Gerda! Warum hast du dir das alles nicht früher überlegt? Na, zum Beispiel, weil die Gesetze damals anders waren.

 

Und nun können wir uns nicht nur fragen, was an diesem Gesetz gerecht sein soll, sondern auch: Wer ist eigentlich so wahnsinnig, das alles in Kauf und hinzunehmen? Und: Warum geht’s hier eigentlich immer nur um Frauen? … Fortsetzung folgt.

Da die Fortsetzung auf sich warten lässt, erfahren Sie stattdessen beim 'Verband der Gründer und Selbstständigen' (VGSD), warum für selbstständige Frauen ein dreifacher Gender-Pay-Gap gilt. Der VGSD unternimmt sehr viel für Gründer:innen und Selbstständige: Fortbildungen, Vernetzung, Informationen, Austausch und vor allem: Gespräche mit politischen Entscheidungsträger:innen zu Themen wie der hier behandelten massiven ökonomischen Benachteiligung Selbstständiger in der GKV.

Mehr dazu finden Sie auch im letzten Beitrag: ‚Was heißt hier solidarisch?

* So die Auskunft der Bundesregierung vom 04.08.2023 auf eine ‚Kleine Anfrage‘ der Fraktion DIE LINKE (Bundestag Drucksache 20/7978).

Zurück zur Übersicht