Konfliktlösung, Klärung & Kommunikation im Blog

Grenzüberschreitungen gegenüber Klienten – Vertrauen im Team

von Dorle Weyers

Waren Sie schon mal irritiert, wie ein bestimmter Kollege mit Klient:innen umgeht? Erschien Ihnen das zu nah, irgendwie distanzlos, übergriffig, unfreundlich, respektlos oder gar herabwürdigend, geschweige denn gewalttätig? – Aber jedes Mal konnte der Kollege Ihnen nachvollziehbare Gründe oder Entschuldigungen für die Situation nennen? Vielleicht hatten Sie sich ja getäuscht?

Hauptsache kein 'Kollegenschwein'? – Loyalität im Team

Aus Sorge, andere schlecht zu machen, sprechen viele soziale Profis solche Vorfälle weder im Team noch Vorgesetzten gegenüber an. Vertrauen unter Kolleg:innen wird hier groß geschrieben. Etwas in Frage zu stellen, schnell als Angriff interpretiert. Schließlich möchte auch niemand, dass die Anderen ihm einen schlechten Umgang mit den Klient*innen zutrauen. Denn „wie man in den Wald hinein ruft ...“. Mit der Leitung über Kollegen zu sprechen, gilt schnell als unsolidarisches 'Spitzeln' oder 'Einschleimen'.

Trotzdem hinterlassen solche 'merkwürdigen Zufälle' oft ein schlechtes Gefühl, das sich im schlimmsten Fall später als berechtigt entpuppt: Wenn dann doch etwas passiert ist, ist die Bestürzung groß, dass „so etwas bei uns“ möglich ist; der Ärger noch größer, dass man die Hinweise nicht ernst genommen, der eigenen Wahrnehmung nicht getraut hat.

Klient:innen schützen: Mut – Verantwortung – Pflicht

Wer trotzdem 'den Mund aufmacht', braucht schon Mut: Thematisieren Profis mögliche körperliche, sexuelle oder verbale Grenzüberschreitungen durch Kollegen gegenüber Schutzbefohlenen und anderen abhängigen Klienten, so wird ihr Verantwortungsgefühl nicht selten als 'Denunziation' degradiert. – Täter können sich so wunderbar schützen und feindliches Verhalten gegenüber den nachhakenden Kollegen rechtfertigen. Schließlich ist Angriff die beste Verteidigung. – Spätestens jetzt ist die gemeinsame Führungskraft gefragt, ein offenes Klima zu fördern, das Zweifel erlaubt und so Klienten und couragierte Kollegen schützt.

Wie kann man sich in solchen Fällen verantwortungsvoll verhalten, ohne ein Klima voller Misstrauen zu nähren? – Vor allem, wenn die Klient:innen geistige Behinderungen haben, Kinder sind, sich aufgrund von Demenz oder psychischer Erkrankung nicht klar vertreten können oder einfach Angst haben?

Was können Sie tun? Hinsehen, ansprechen, ernst nehmen!

  1. Schauen Sie genau hin: Gibt es weitere merkwürdige Situationen, die auf unprofessionelles Handeln oder Grenzüberschreitungen hinweisen? Zeigt der Kollege noch andere irritierende Verhaltensweisen, z. B. extremen Alkoholkonsum, körperliche oder verbale Distanzlosigkeit, Angrabschen auf Betriebsfeiern etc.? Bei gravierenden Grenzüberschreitungen gegenüber Klienten sind Sie verpflichtet, Ihre Leitung darüber zu informieren.

  2. Wie können Sie die Kollegin (bei 'harmloseren' Anlässen) sachlich und konkret direkt ansprechen? Wen können Sie um Unterstützung bitten? Wagen Sie skeptisch zu sein. Haken Sie nach. Das gilt erst recht, wenn Ihr Gegenüber darauf schnell aggressiv oder ewig ausweichend reagiert. Lassen Sie sich nicht einfach abspeisen und schon gar nicht als 'Kollegenschwein' einen Maulkorb verpassen. Schutzbedürftige Klienten brauchen Solidarität! Wegsehen kann unterlassene Hilfeleistung bedeuten. Hinsehen ist für Profis Pflicht!

  3. Wie steht es um die Kommunikation in Ihrem Team? Wie können Sie die Ereignisse nicht nur unter vier Augen, sondern im Team ansprechen? Kultivieren Sie eine offene Kommunikation, in der auch Fragen, Zweifel und Kritik erlaubt sind? – Teams, die offen über irritierende Beobachtungen sprechen, verringern das Risiko heimlicher Übergriffe. Tauschen Sie sich (nicht ständig, aber regelmäßig) ehrlich darüber aus, wen welches Verhalten der Anderen schon mal irritiert hat und wie Sie solchen Situationen als Team begegnen wollen. Frei nach dem Motto 'Weder katastrophisieren, noch tabuisieren'.

  4. Nur wenn Sie mit Ihrer Führungskraft sprechen, können hier auch 'kleinere' Beobachtungen aller Kolleginnen zusammenfließen. Bei Gewalt und sexuellen Übergriffen müssen Sie die Leitung informieren. Falls Sie Sorge haben, dies zu tun: Was hindert sie? Was für eine Beziehung haben Sie zur Leitung, was für ein Bild von ihr? Sehen Sie sie als strafende 'Obrigkeit' oder gar als potentielle Feindin, der man nichts sagen darf? Trauen Sie ihr keinen guten Umgang mit Ihren Beobachtungen zu? Denken Sie, dass 'die da oben' sowieso nichts machen? Wie kommt es dazu? Basiert ihr Bild auf konkreten Erfahrungen oder auf Befürchtungen? Wann und wie genau war das? Haben Sie auch andere Erfahrungen mit ihr gemacht? Ist die erste spontane Einschätzung wirklich realistisch, oder geht es mehr darum, 'Kollegen nicht anschwärzen' zu wollen? Wie müssten Sie die Dinge formulieren, damit es für Sie okay ist? Gibt es eine Vertrauensperson in Ihrer Organisation, die statt dessen in solchen Situationen anzusprechen ist? – Eine Leitung, die nichts erfährt, hat keine Chance, frühzeitig zu intervenieren. Im Ernstfall merken Sie alle dann erst im Nachhinein, dass mehrere Kollegen viele kleine irritierende Beobachtungen gemacht haben, die alle zusammen ein klares Bild ergeben hätten.

  5. Starten Sie mutig, sachlich und konkret: Egal ob im Team oder mit der Teamleitung: Hinweise à la 'Ich möchte aber nicht sagen, wer und was.' helfen niemandem weiter. Nur ein Team, in dem es keine Sünde ist, Kritik zu äußern, kann professionell arbeiten und aus Fehlern lernen. 'Mutig, sachlich und konkret' heißt z. B.: „Am 12.12.12 um 12.00 Uhr kam ich zum Klienten Meyer. Dort befand sich die Kollegin Müller, obwohl sie keinen Dienst hatte. Auf dem Tisch stand 1 leere Flasche Wein. Müller und Meier rochen nach Alkohol.“

  6. Stellt ein Kollege Ihr Verhalten gegenüber Klientinnen in Frage, reagieren Sie möglichst nicht empört. Natürlich kann es weh tun, wenn Kolleginnen Ihnen grenzwertiges Verhalten zutrauen. Schaffen Sie es dennoch, erst mal tief durchzuatmen und auf der Sachebene zu antworten? Können Sie sich sagen: "Ok, auch ich möchte, dass unsere Klientinnen bei uns sicher sind. Dazu müssen wir im Team offen miteinander reden – auch über so etwas.“? Wenn Sie Ihre persönliche Kränkung hinten anstellen, helfen Sie mit, tatsächliche Opfer zu schützen. Finden Sie es unmöglich, wenn Kollegen solche Befürchtungen aussprechen, dann machen auch Sie Grenzverletzungen zum Tabu, und schaffen Tätern damit freies Spiel. Außerdem ist die Befürchtung nicht weg, nur weil sie nicht ausgesprochen wird. Ist es dann nicht besser, davon zu erfahren und Stellung beziehen zu können? Und: Statistisch gesehen, muss jede größere Einrichtung davon ausgehen, dass Übergriffe leider auch bei ihr vorkommen.

  7. Als Einrichtungsleitung können Sie die genannten Hemmschwellen verringern, indem Sie 
    - eine Vertrauensperson (z. B. aus dem Sozialen Dienst) als 'Ansprechpartner:in für Klientenschutz' benennen, schulen, bei Bedarf freistellen und immer wieder in der Organisation bewerben;
    - Fehlerfreundlichkeit und eine offene Team-Kommunikation auf allen Ebenen gezielt fördern. Beides bildet die absolut notwendige Basis, damit Sie als Leitung erfahren, was in Ihrem Haus los ist!
    - Hinweise stets sehr ernst nehmen, sich dafür bedanken, konsequent und gründlich reagieren und - auch wenn nichts nachgewiesen werden kann - die couragierten Kollegen bitten und ermutigen, sich bei weiteren Irritationen sofort wieder an Sie zu wenden; 
    - Hinweise, dass nun die Unterstützer zu Opfern werden, ebenso ernst nehmen, und sie vor kollegialen Angriffen konsequent schützen;
    - Spaltungen in 'Gut und Böse', Obrigkeitsdenken, Autoritätshörigkeit und -gehabe vermeiden, denn diese sind der beste Nährboden für Fehler-Leugnung, Idealisierungen und Gewalt.

    Gern unterstütze ich Sie dabei mit Teamsupervision und Führungscoaching in Münster.

Weiterlesen?

oder:
- auf den Seiten des 'Zentrums für Qualität in der Pflege' zum Thema Gewaltprävention
- im Pflegewiki zu 'Gewalt in Pflegebeziehungen'

 

Zurück zur Übersicht